NZZ Gastkommentar von Andreas Abegg vom 28. Juli 2018:
Der Kantonsrat hat die Kulturlandinitiative nicht korrekt umgesetzt. Dieser Bundesgerichtsentscheid stärkt eine der zentralsten Aufgaben der Volksinitiative.
Mit dem Entscheid zur Kulturlandinitiative hat das Bundesgericht die Volksrechte und die direktdemokratische Tradition des Kantons Zürich gestärkt. Volksinitiativen dienen nicht, oder zumindest nicht nur, der politischen Agitation grosser Parteien. Der Zürcher Kantonsrat verweigerte bekanntlich die Umsetzung der Kulturlandinitiative, indem er auf die vom Regierungsrat ausgearbeitete Umsetzungsvorlage nicht eintrat. Der revidierte Richtplan genüge.
Das Bundesgericht hiess kürzlich die gegen das Nichteintreten gerichtete Beschwerde der Grünen und ihrer Präsidentin, Marionna Schlatter, schon deshalb gut, weil eine Initiative in der Form der allgemeinen Anregung grundsätzlich nicht mit einer Revision des Richtplans umgesetzt werden kann.
Den Grund dafür sieht das Bundesgericht darin, dass nach der Zürcher Verfassung der Kantonsrat für die Umsetzung einer Anregung nicht eine Rechtsform wählen darf, die nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein kann. Zwischen dem Gegenstand einer Initiative und deren Umsetzungsform muss insoweit Kongruenz bestehen.
Grundsätzliche Fragen sind zu klären
Bei der Eleganz und Kürze der bundesgerichtlichen Erwägungen könnte übersehen werden, dass grundsätzliche Fragen zu den Volksrechten und zum Verhältnis von Kantonsrat und Volk zur Debatte stehen: Im Jahr 2009 strich der Kantonsrat eine Gesetzesnorm, welche es ihm ermöglichte, eine vom Volk angenommene allgemeine Anregung nicht selber in Kraft setzen zu müssen, sondern die ausgearbeitete Vorlage dem Volk vorlegen zu können. Wer eine Volksinitiative als allgemeine Anregung ausgestalte, wurde nach der Streichung dieses Gesetzesartikels gesagt, nehme in Kauf, dass diese trotz Volksmehr letztlich im Parlament scheitere.
Eine derartige Kompetenzverschiebung vom Volk zum Parlament widerspräche indes dem Staatsverständnis der Zürcher Verfassung: Die Staatsgewalt beruht ausdrücklich auf dem Volk (Art. 1 Abs. 3 KV). Die neue Verfassung von 2005 übernahm dies von der vorangehenden von 1869 und wollte damit das Staatsverständnis des Kantons Zürich als direkte Demokratie zum Ausdruck bringen. Hierbei will der Kanton nicht nur das bundesrechtliche Minimum, sondern weitergehende demokratische Mitwirkungsinstrumente samt ausgebauten Initiativrechten garantieren.
Nach dem verstorbenen Zürcher Staatsrechtler Alfred Kölz entsprach es geradezu dem zentralen Anliegen der Zürcher Verfassung von 1869, «das Volk zum Zentralorgan des neu zu gestaltenden Staatswesens zu machen, und für das Parlament nur mehr die Rolle einer, wie wörtlich gesagt wurde, ‹vorberatenden Behörde›, ja einer blossen ‹Gesetzes-Comission› vorzu-sehen». Der Kantonsrat ist somit im Rahmen der Volksinitiativen Umsetzungsorgan des Volkes.
Volksrechte als eine Kontrollinstanz
Mit dem Entscheid des Bundesgerichts hat der Kantonsrat also eine vom Volk angenommene Anregung zwingend umzusetzen, und zwar mit einem referendumsfähigen Erlass. Es bleibt dann jeweils die Möglichkeit eines quasi letztinstanzlichen Volksentscheides über das Inkrafttreten einer Vorlage, z. B., wenn dies 3000 Stimmberechtigte oder 45 Mitglieder des Kantonsrats verlangen. Diese Lösung des Bundesgerichts ist rechtlich überzeugend und entspricht der direktdemokratischen Tradition des Kantons Zürich.
Gestärkt wird damit auch die Funktion der Volksrechte als eine Art von Checks and Balances in dem Sinne, als auch kleinere Gruppierungen ohne parlamentarische Mehrheiten ihre Anliegen dem Souverän vorlegen und – bei entsprechendem Abstimmungserfolg – zur Realisierung bringen können. Die Volksrechte dienen nicht, oder zumindest nicht nur, den grossen Parteien als Instrument politischer Agitation.
Andreas Abegg, NZZ Gastkommentar